Hamburger Abendblatt, 14.05.1988

Studt: Eine Welt nur voller Enttäuschungen

Feuilleton S. 12

„Tüchtigkeit und Gemütlichkeit“, in der Aufbauphase nach dem letzten Krieg kamen diese Kategorien in der Bundesrepublik zu hohem Ansehen. Einer erinnert sich daran: Heiner Studt, Maler und Vorsitzender des Vereins der Galerie Morgenland in Hamburg, 1942 in Greifswald geboren, aufgewachsen in Jena und 1961 nach Westdeutschland übergesiedelt. Seiner Ausstellung von „Bildern aus den achtziger Jahren“ in der „Kunstbrücke“ der AOK gibt er die beiden Begriffe als schirmende Begleitung mit.

Er lieh sie sich zu diesem Zweck von einem seiner Gemälde. Es läßt ein Sofastück mit einem Klavier zusammenstoßen, an dem eine Frau gerade spielt. Im Hintergrund führt ein Nackter einen Kopfstand vor, und aus einer kleinen grauen Wolke fallen Bomben. Die aus der Wirklichkeit herausgebrochenen Teile lassen sich der Tüchtigkeit oder der Gemütlichkeit zuordnen.

Dem Realismus Studts ist im Gegensatz zu seinem hellen Farbkleid eine Bedeutungsschicht unterlegt, die das Schwarz des Todes feiert. Freudige Motive sind bei ihm selten. Die Welt hält für Studt hinter der unverfänglichen Oberfläche nur Enttäuschungen bereit. „Tollerort“ im Hamburger Hafen ist so grau wie der Himmel über ihm. Das Kind auf Vaters Arm wendet sich erschreckt ab. Zum Fürchten sind auch die bleichen russischen Bonzen am Katafalk der Leiche Stalins.

Ohne gesellschaftliche Implikationen kommt Studts Malerei nicht aus. Es gibt direkte Anspielungen wie das Porträt des ersten Bundeskanzlers, das in den „Sieben Erscheinungen Adenauers im Hauptbahnhof“ an den unteren Bildrand gesetzt wurde, mit einem Reisekoffer und dem Mond neben sich. Die indirekte Sprache verwendet Studt genau so gern. Sie herauszulesen gleicht der Suche nach der Lösung eines Rätsels. Jedem fällt sicher etwas anders ein, wenn er diese Allegorien aufschlüsselt.

EVELYN PREUSS