Malerei, Zeichnung, Collage
Eröffnung am 29. November 2008 in der Galerie Morgenland
Ein junger Mann legt sein vom Elternhaus vorgeprägtes Leben als braver Erwerbstätiger nach Lehre und ersten Berufsjahren beiseite; denn das kann es ja nicht gewesen sein: „das bisschen Fernsehen und Kinderschreien“. Er bewundert Peter Blake, den englischen Popart-Mann, und die Stones verehrt er mehr noch als die Beatles. In der Klasse Rudolf Hausner an der Hamburger HfbK bringt er in akribischer Punktmanier sein Selbstporträt zu Papier, und dieses blickt ebenso fragend zurück, wie der Zeichner in es hineingeblickt hat. Wer bin ich? Wer werde ich sein? Der junge Günter Krakau der sechziger Jahre wurde der reife Günter Krakau von heute, aber seine Art, ein Selbstporträt anzulegen, ist die gleiche geblieben: unbestechlich das Objekt im Spiegel erforschend, den Pinsel erst dann endgültig ruhen lassend wie damals den Griffel, wenn das Gegenüber, das ein Selbst ist, eine ausgewogene Komposition aus Dichte und Offenheit, Genauigkeit und Zufall, eine „reife Frucht“ geworden ist, was nach Wochen, Monaten, Tagen der Fall sein mag. Selbst Jahre können ins Land gehen, ehe die letzten Handgriffe getätigt worden sind und der Künstler sein Bild als endgültig zu betrachten bereit ist. Zeit spielt keine Rolle, die Hinrichtung steht ja nicht unmittelbar bevor. Ein Schlenker hier, eine Kurve dort, die allemal Nebennutzen abwerfen, sind auch beim Autofahren erlaubt. Nicht immer ist der kürzeste Weg der optimale. Im Nacken hockt beim Malen kein Galerist oder Auftraggeber, der Künstler ist sein eigener Mäzen und gestattet sich Muße.
Dieses früh angelegte Künstlerleben hatte und hat einen beständigen Schauplatz: Es ist seit beinahe einem halben Jahrhundert das Hinterhaus Nummer 5 in der Karolinenstraße 2a. Auch die Produktionsmittel dieses Künstlers sind übersichtlich: klassische Pinsel, Farben, Malgründe, Stifte, Papier. Eine Radierpresse hatte einmal ihren Auftritt, aber selbst ein Fotoapparat befindet sich nicht im Besitz dieses Eigenwilligen. Er fotografiert seine Bildmotive mit dem Auge, er findet sie in Zeitungen, er sieht sie hinein in Zufallsbildungen auf der Palette, auf dem Packpapier des Maltischs. Da verwandelt sich schon mal der Fuß eines verworfenen Bildes nach dessen Zerteilung in eine Wolkenformation. Und auch das Umgekehrte ist denkbar. Vielleicht morgen schon wird Günter Krakau das alte Schleifpapier, mit dem er ganze Farbschichten abgeschliffen hatte, welche schon zwei Jahre lang das linke obere Viertel jenes Bildes bedeckten und schon wie versteinert waren, mit Verblüffung betrachten und sogleich nach Applikation auf eine Hartpappe in eine Szenerie verwandeln, welche uns an die herzzerreißenden Abschiedsszenen bei auslaufenden Schiffen in alten Filmen erinnert, wenn die Geliebte einen kräftigen Anschwung nimmt, um dem sich entfernenden Leichtmatrosen nachzufliegen. Vielleicht aber schmeißt er es auch einfach nur weg und kocht sich einen Tee.
Krakaus Bilder handeln vom Sehen. Da blickt einer, der Bildautor, in die Welt und trifft dort wieder auf Wesen, die blicken: aneinander vorbei, einer auf den andern – frontal forschend oder unbemerkt in den Rücken, angestrengt auf wichtige Fundstücke, konzentriert auf Arbeitsvorgänge. Männerblicke sind dabei, und Tiere sehen dich an. Sind sie wirklich das Gegenstück zu Mensch und Kultur? Und gehen all diese ans Unmittelbare, ans Nahe gefesselten Blicke nicht allzu oft am Wesentlichen vorbei? Würde der Herr vielleicht mal sein geschätztes Haupt erheben, um die Formation am östlichen Himmel wahrzunehmen? Das ganz Andere ist im Auf- und Anzug. Jetzt holt sich die Natur das zurück, was du und deinesgleichen ihr gestohlen habt. Die gelehrige Krähe leiht dem Vortrag des Ornithologen zwar gerade noch ihr rechtes Ohrloch, doch ihr Blick geht schon nach hinten links. Da tut sich etwas, das wichtiger ist als diese trockene Gelehrsamkeit.
Auch der begehrliche Blick ist ins Bild gesetzt. Kleiner Mann vor großer Frau. Die Schöne und das Biest? Nein, das sind die große Blonde und der Verbiesterte. Bin ich es, bist du’s? Nein, ich bin’s nicht, Günter Krakau ist’s gewesen. Und Günter Krakau ist’s auch gewesen, der den Waden der fensterputzenden Frau jene Fülle verlieh, die das Ursprungsfoto gar nicht hergegeben hatte. Da wurde er ausführlicher und griff zum Öl, während er die obere Figur in der Skizzenhaftigkeit des Aquarells beließ. Das ist sein erotischer Blick.
Situationen und Geschichten sind in diesen Bildern. Und geradezu bekenntnishaft versenkt Krakau einen der großen Abstrakten souverän in dessen eigenen Farbflächen: Wir beobachten den unpathetischen Untergang der Mark Rothko, diese Titanic hatte ihm sowieso nur ein langweiliges Gähnen entlocken können.
Lieber Günter, ich bin sicher, du wirst deinen Grüntönen noch so manche skurrile Situation abgewinnen. Die Galerie steht dir dann sicher wieder offen. Heute danke ich dir, dass du zum nun dritten Mal bei uns ausstellen mochtest.