23. Juni 2007, Rede zur Ausstellung
von Heiner Studt
Liebe Kunst- und Gert-Niedl-Fans,
ich wage den Kontrapunkt, ja den Widerspruch. Der Künstler selbst nennt sie „Bilder von innen“, damit auf Psychisches verweisend, ich sehe Bilder des Außen, Hinweise auf Landschaften. Die Genese des Kunstwerks und die Wirkung desselben, die vom Künstler nicht mehr kontrollierbar ist, sind offenbar nicht nur ungleich, sondern klaffen weit auseinander. Kunstwerke sind ästhetische Objekte – also vom Künstlersubjekt unabhängige Gegebenheiten. Als Gert Niedl bei mir wegen einer Rede zu seinen angeblich gegenstandslosen, er sagte sogar abstrakten Bildern anfragte, sagte ich unter der Bedingung zu, dass er sich einen Beitrag zu geologischen Vorgängen gefallen lassen muss, ohne auch nur ein Wort zum emotionalen Antrieb in der Seele des Künstlers zu hören. Denn dafür bin ich nicht zuständig und auch nicht geeignet. Ja, ich habe sogar eine große Skepsis gegenüber diesem Zugang zur Kunst.
Diese Landschaften sind in Aufruhr. Sie liegen nicht still da, ruhen nicht in sich selbst, sie werden umgewälzt. Kräfte, die das vermögen, müssen gewaltig sein – gewaltig im Vergleich zu den uns Menschen zur Verfügung stehenden. Der kleine Ruck im Indischen Ozean, der am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 2005 einen Tsunami auslöste und eine Verschiebung an einer Spalte auf dem Meeresgrund um ca. 20 Meter bewirkte, hatte immerhin mit seiner 32 Gigatonnen TNT entsprechenden Energie eine verheerende Überflutung und große humanitäre Katastrophen in Gang gesetzt. Dieser geologisch gesehen kleine Ruck hatte eine Energie von 2,5 Millionen Hiroshima-Bomben. (Und diese eine ganze Stadt vernichtende Atombombe mit ihren 13 Kilotonnen TNT dient immer noch als ein sehr großer Maßstab für vom Menschen gesteuerte Energiefreisetzung, dabei ist sie doch so winzig im Vergleich zu geologischen Vorgängen selbst der eher niedrigen Stufe.) Angesichts dieser von der Erdkruste freigesetzten Kräfte können wir als Menschheit Bescheidenheit lernen und die zur Zeit grassierende politisch induzierte Selbstüberschätzung ein wenig relativieren – eine Selbstüberschätzung, die uns beispielsweise glauben lässt, wir hätten in unserer Macht, das Welt-Klima zum Guten oder zum Schlechten zu manipulieren, indem wir ein wenig mehr oder weniger Erdöl verbrennen, was wir auf G8- und anderen Gipfeln beschließen oder eben nicht beschließen – und was in seiner Auswirkung auf das Gleiche hinausläuft: Wirkungslosigkeit.
„Erde im Aufruhr“ heißt ein Buch von Immanuel Velikovsky, das im Jahre 1956 unter dem Titel „Earth in Upheavel“ in den USA erschien. Den deutschen Titel kann man ohne Hoffnung auf eine Neuauflage nur noch antiquarisch erwerben; denn Velikovsky wurde weniger wegen konkreter Irrtümer, denen allerdings sich bewahrheitende Voraussagen gegenüberstehen, zur wissenschaftlichen Unperson, sondern vielmehr weil er an den Grundfesten der Geologie, Planetologie und Geschichtswissenschaft rüttelte. Er war Katastrophist und Chronologierevisionist in einem. Er sah gute Gründe für eine zeitliche Raffung der Geschichte der Alten und für eine noch in historische Zeiten fallende Katastrophenepoche. Deren Spuren entdeckte er in alten Mythen, mündlich überlieferten, in Stein gemeißelten und schriftlich fixierten wie den Büchern des Alten Testaments. Auch wenn man ihm nicht aufs Wort glauben muss, so bleibt es doch erstaunlich, wie er die biblischen Berichte über vom Himmel fallende glühende Steine, zur Seite tretendes Meer, herabströmendes Manna, also essbaren Zucker, eine stillstehende Sonne, eine Umkehrung des scheinbaren Laufs der Sonne, eine Verdopplung derselben, himmlische Schlangen, gewaltige Fluten und Feuersbrünste auf reale Naturvorgänge zurückführte, von denen wir uns in dem nunmehr zweieinhalb Jahrtausende währenden himmlischen Frieden keine Vorstellung machen können.* Es bedarf einer gewissen Phantasie wie z.B. der von Gert Niedl, um sich beim Anblick eines Findlings in der norddeutschen Ebene das Ereignis vorzustellen, welches diesen Felsbrocken aus dem Hunderte Kilometer entfernten Skandinavien zu uns beförderte. Seiner abgerundeten Gestalt nach kann es keine gemächliche Reise in langsam sich vorschiebendem Eis gewesen sein. Ich jedenfalls kann mir als Antrieb da nur eine gigantische Flut vorstellen.
Dass unsere Erde bei Erdbeben und Vulkanausbrüchen landschaftsumgestaltende Kräfte sehr plötzlich freisetzen kann, ist den jährlichen Katastrophenmeldungen aus aller Welt zu entnehmen. Nur: Das sind Kinderspiele gegen die potentiellen Ereignisse sogar ganz in unserer Nähe. Wenn der unter den Phlegräischen Feldern nahe Neapel vor sich hin grummelnde Supervulkan – nicht zu verwechseln mit dem eher winzigen Vesuv – ausbricht (und er wird ausbrechen), dann wird wohl ganz Italien verschwinden und das übrige Europa unter einer Ascheschicht versinken.
Immanuel Velikovsky, der Russland-Emigrant mit Stationen in Deutschland, in Österreich und in den USA, war als Schüler von C.G. Jung ausgebildeter und praktizierender Psychoanalytiker. Als solcher sah er eine Strukturähnlichkeit zwischen Naturkatastrophen kosmischen Ausmaßes und den Katastrophen politischer Natur, die die Menschheit sich selbst bereitet. Er konstatierte verdrängte „Katastrophen der Menschheit“ – so ein Titel seiner Bücher -, welche sich ins „Kollektivgedächtnis“ eingebrannt haben und unbearbeitet, wie sie sind, den Antrieb der gigantischen Untaten darstellen, die gerade auch das vergangene Jahrhundert kennzeichneten.
Auch wenn man – wie z.B. ich – Velikovskys Konzept eines in jedem Individuum vorhandenen Kollektivgedächtnisses nicht teilt, so bleibt doch die gültige Erkenntnis: Kulturell leben die Katastrophenerfahrungen unserer Vorfahren fort. Den Transport dieser Erfahrungen übernahmen die Religionen. Gunnar Heinsohn erklärt aus diesen Katastrophenerfahrungen der himmlischen Unruhe zwischen ca. -1500 und -700 die Entstehung der Himmelsgötter samt Priesterkönigtum, frühem Staat und Opferkult. Die Katastrophen waren von einer solch unvorstellbaren Gewalt, dass die menschliche Psyche von ihnen überfordert wurde. Die wenigen Überlebenden spielten die Götter nach: Wo die Sprache versagte, trat das Theatralische in Erscheinung. Und bis heute reproduzieren, weil im Bann befangen, die sogenannten großen Männer in ihren sogenannten geschichtlichen Taten die Untaten, sprich Massenmorde, Völkermorde, der launischen Himmelsgötter von einst. Ein Mann wie Hitler tat dies sogar in vollem Bewusstsein, indem er die von ihm als vom jüdischen Humanismus verweichlichte Menschheit zu heraldischer Größe der vorchristlichen Zeit zurückführen wollte. Und sei es durch Züchtung neuer Titanen. Doch zurück zur Geologie.
Wir stehen – auch hier in diesem Atelier –, wenn wir es recht bedenken, auf unsicherem Grund. Eine nur ca. 70 Kilometer dicke feste Kruse trennt uns von einem höllischen Untergrund, der bis in eine Tiefe von 6350 Kilometern reicht – so weit entfernt ist von unseren Füßen der Erdmittelpunkt. Die Erde gleicht, so betrachtet, einem zerbrechlichen Ei. Und wenn wir dann noch wissen, dass die Kruste auf etwa zwei Dritteln der Erdoberfläche, nämlich am Grunde der Ozeane, nur 7 Kilometer dick ist, dann kann einem schon bange werden. Nun gut, sagen Sie vielleicht, das hat sich ja alles durch die Abkühlung der einst glühenden Erdkugel beruhigt und wird sich weiter beruhigen. Zwar gebe es da eine gewisse Unruhe im Untergrund, nämlich Hot Spots, Plattenverschiebungen und Subduktionen, ein paar Vulkane und Erdbeben – aber das hält sich in Grenzen. Dazu möchte ich, um Ihnen eine weitere Neuigkeit zu unterbreiten, die Sie sicher nicht glauben werden, folgendes sagen: Die Erde wächst seit 200 Millionen Jahren stetig, ja mit quadratischer Progression, an. Da verschieben sich keine Platten, sondern da platzen Nähte auf, stülpen sich Gebirgszüge hoch, fallen Aufwölbungen zu Geosynklinalen zusammen, tritt Magma an die Oberfläche. Und durch den stetigen Massenzuwachs bedingt, erhöht sich die Gravitationswirkung, so dass der Zukunft der Erde und mit ihr den auf ihr weilenden Lebewesen weiterhin eine große Unruhe bescheinigt werden kann. Was ich Ihnen hier angedeutet habe, ist die Theorie der Erdexpansion. Ihr Wahrheitsgehalt springt demjenigen in die Augen, der die inzwischen recht ordentlich kartografierte Beschaffenheit der Meeresböden unvoreingenommen betrachtet und sein Schulwissen vergisst.
Kennen Sie Aschchabad? So heißt die Hauptstadt von Turkmenistan. Im Internet finden Sie folgende knappe Notiz: Aschchabad wurde im Jahre 1948 von einem Erdbeben fast völlig zerstört und wieder aufgebaut. Soviel Sie auch in Lexika und Aufsätzen suchen, Sie finden nichts Genaueres. Vor wenigen Tagen hatte ich einen 86jährigen Gast aus Russland zu Besuch. Er wusste, weil er es von einer Überlebenden erfahren hatte, zu berichten, dass sich am 5. Oktober 1948 in Aschchabad für wenige Sekunden die Erde öffnete, die Stadt samt Bewohnern verschlang und wieder schloss. Eine stalinistische Nachrichtensperre verhinderte die Verbreitung irgendwelcher Einzelheiten. Warum die Nachrichtensperre? Gemäß kommunistischer Doktrin ist es der Mensch, der die Naturkräfte beherrscht, Flüsse umlenkt, Wüsten zu Kornkammern macht, Sibirien vom Eis befreit. Dieses Beben war denn doch ein allzu deutlicher Einspruch seitens der Natur.
Sehen Sie, an all das und noch viel mehr musste ich denken, als Gert Niedl mir seine Bilder zeigte. Und jetzt kommen Sie. Suchen Sie doch ruhig die untergründige Tektonik des Künstlers. Sicher hat er einige Hot Spots, abgedeckelte Vulkane und Expansionskräfte in seinem Innern, wovon diese Landschaften zeugen mögen. Dir, Gert, wünsche ich, dass sich diese Energie auch weiterhin in gute Kunst umsetzt.
Vielen Dank für die – sicher mit Unglauben gepaarte – Aufmerksamkeit!
Anmerkungen:
* aus Velikovsky „Welten im Zusammenstoß“ (Ullstein,1994)
Seite 150: Der Honigreif fiel in ungeheuren Mengen. Die haggadischen Schriften sagen, dass die Menge, die täglich fiel, ausgereicht hätte, das Volk zweitausend Jahre lang zu ernähren. Alle Völker des Ostens und Westens konnten es sehen. – Einige Stunden nach Tagesanbruch begann die zunehmende Wärme unter der Wolkendecke die Körner zu verflüssigen und verdunsten zu lassen. Der Erdboden nahm einen Teil der flüssigen Masse auf, gerade so, wie er Tau aufnimmt. Die Körner fielen auch auf das Wasser, so dass die Flüsse ein milchiges Aussehen bekamen.
Seite 151: Jericho – Die Erdkruste bebte und barst immer wieder von neuem, während sich ihre Schichten nach der großen Verwerfung wieder zurechtrückten. Abgründe taten sich auf, Quellen versiegten, und neue Quellen brachen hervor. Als sich die Juden dem Jordan näherten, brach ein Stück der Uferböschung herab und hielt den Fluß lang genug auf, um die Zwölf Stämme hinüber zu lassen. „Da stand das Wasser, das von oben herniederkam, aufgerichtet über einem Haufen, sehr ferne von der Stadt Adam, die zur Seite Zarthans liegt; aber das Wasser, das zum Meer hinunterlief, zum Salzmeer, das nahm ab und verfloß. Also ging das Volk hindurch gegen Jericho hinüber.“ – Ein ähnliches Ereignis wurde am 8. Dezember 1267 beobachtet, als der Jordan 16 Stunden lang aufgestaut wurde, und ebenso bei dem Erdbeben von 1927, als ein Stück der Uferböschung nicht weit von Adam entfernt in den Fluß stürzte und das Wasser sich über 21 Stunden lang aufstaute; in Damich (Adam) überschritten die Leute das trockene Flussbett. – Die Geschichte vom Einsturz der Mauern Jerichos unter den Posaunenstößen ist wohlbekannt, aber sie bedarf der Ausdeutung. Das siebentägige Hörnerblasen der Priester spielte keine größere ursächliche Rolle als der Stab, mit dem Moses nach der Legende einen Weg durch das Meer öffnete. „Als das Volk das Tönen der Posaunen hörte“, geschah es, daß „die Mauer schlagartig einstürzte“. Der laute Posaunenton wurde aber durch die Erde hervorgebracht; die israelitischen Stämme meinten in ihrem Wunderglauben, dass das Dröhnen der Erde als Antwort auf das siebentägige Blasen der Widderhörner gekommen sei. – Die großen Mauern Jerichos – sie waren 12 Fuß stark – sind ausgegraben worden, und es ergab sich, dass sie tatsächlich durch ein Erdbeben zerstört worden waren.
Seite 153: „Die heißen Hagelsteine, die auf Moses Fürbitte in der Luft innehielten, während sie bereits unterwegs waren, auf die Ägypter herabzustürzen, prasselten nun auf die Kanaaniter nieder.“ Diese Worte sind so zu verstehen, dass ein Teil der Meteoriten vom Kometen des Exodus etwa 50 Jahre lang am Himmel weiterzog, um dann in den Tagen Josuas im Tal von Beth-Horon niederzugehen – an jenem Tag, als Sonne und Mond stillstanden.